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BER - Liebe Republik - wir haben es verstanden

Unread postMessage posted...: Fri 11. Jan 2013, 22:30
by Pascal
Alle Welt lacht über Berlin. Nicht mal einen Flughafen können die bauen. OK, das BER-Debakel ist ein Possenspiel, das gerade uns zutiefst ärgert und nervt.
Aber warum ist jeder der Meinung, nur Berlin hat hier versagt? Sind nicht das Land Brandenburg und der Bund ebenfalls an dieser Katastrophe beteiligt? Befindet sich der vielleicht zukünftige Flughafen nicht im Land Brandenburg? Was hat bisher das Bundesverkehrsministerium gemacht?

In der Berliner Morgenpost war zum Thema heute ein wunderschöner Aufmacher auf Seite 1 zu lesen:

Liebes Deutschland, wir haben verstanden!!!

Die Witze waren in den Eckkneipen von Stuttgart bis Hamburg zu hören. Dazu die vernichtende Kritik in Tageszeitungen, in Internetforen und natürlich via Twitter.

Liebes Deutschland, wir haben kapiert: Berlin ist Trümmerhaufen, Lachnummer, das Allerletzte.

Bevor wir zur Tagesordnung übergehen, nur rasch noch die Frage:

Warum kommen so viele so gern in die Hauptstadt?
Katastrophen-Tourismus?
Oder vielleicht doch Spaß an der Großstadt, mit AperolLatteBlingBling?

Warum fragt einen jeder Geschäftsreisende nach der vierten Molle, zwinker-zwinker, wo denn noch was los sei? Warum steht ihr vorm „Adlon“ und wartet auf Wotan Wilke Möhring?

Als Vergnügungspark der Republik wird unsere Stadt gern genommen. Den Müll von Silvesterparty, Marathon und Fanmeile dürfen die Jungs von der BSR bis zum Morgengrauen wegräumen. Internationales Entertainment zu osteuropäischen Tarifen, für die hier Hunderttausende Servicekräfte Tag und Nacht rackern, das ist okay. Und rasch noch den großen Steinbeißer in der Fischtheke vom KaDeWe für den Kegelverein zu Hause geknipst.
Aber wehe, hier funktioniert nicht alles so reibungslos wie in eurer gekärcherten Reihenhaus-Langeweile. Deswegen muss man wohl spätestens am Oranienburger Kreuz mit Überheblichkeitsblick aufstöhnen, dass man es in dieser Stadt nicht länger als drei Tage aushalten könne.
Ist es die typisch deutsche Unfähigkeit, sich ein paar Stunden wohlzufühlen? Der Provinzkomplex? Oder die alten Märchen von der Subventionsmentalität? Werden nicht in Bonn unsinnige Achtel-Ministerien und allerlei andere teure Institutionen unterhalten?

Ja, wir wissen, dass Berlin im Vergleich zu anderen Metropolen wenig Industrie zu bieten hat. Liegt aber nicht an Berlin, dass viele Unternehmen nach dem Krieg verschwunden sind. Kurz zur Erinnerung: Diese Stadt hat einiges hinter sich. Zog sich jemals eine Mauer durch Stuttgart, Düsseldorf, Dresden, mit Minen, Stacheldraht und Schießbefehl?

Nein, wir sind nicht stolz auf dieses Flughafen-Ding. Die ewige Pleite nervt. Unsere Bürgersteige werden nicht geräumt, weil der Senat kein Geld hat. Stimmen allerdings die Informationen aus Restdeutschland, dann hat jedes Bundesland seine Never-ending-Baustelle. Ist Berlin das Problem oder die Feinheiten der deutschen Vergabepraxis? Tegel wird eh unterschätzt.
Nein, Berlin ist nicht fertig, nie, sondern immer Prozess statt Struktur. Dieser Prozess ist mal dynamisch, mal erfolgreich und mal BER. David Bowie hat die zuverlässig widersprüchliche Stimmung auf den Punkt gebracht. „Ich war bankrott, mein Freund Iggy Pop und ich fuhren mit einem Mercedes herum, der so verrostet war, dass man die Straße sehen konnte, und wir fühlten uns wieder wie Teenager. Ich hatte das Gefühl, dass damals in Berlin eine riesige Last von mir weggehoben wurde.“
Es war ein brutal verdrogtes Berlin, aber auch der Boden, auf dem die Humpes, Nena, die Einstürzenden Neubauten und viele andere Kulturpflanzen wuchsen. Berlin ist offen, auch wenn die Thierses das nicht so zeigen können. Was anderswo Größenwahn heißt, nennt der Berliner Optimismus, Hoffnung, Fantasie. Das muss man erst mal schaffen.

Quelle: Berliner Morgenpost vom 11.01.2013