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Tunesien revoltiert weiter: Regierung gesäubert

Unread postMessage posted...: Mon 28. Feb 2011, 21:44
by Thomas
Die tunesischen Revolutionäre haben nun auch die letzten Symbole des alten Regimes hinweggefegt. Premierminister Mohammed Ghannouchi ist am Ende freiwillig zurückgetreten, als er einsah, dass der Protest der Bevölkerung nicht nachlassen würde.

Mehrere zehntausend Demonstranten waren am Wochenende auf die Straße gegangen. Es kam zu Ausschreitungen, fünf Menschen wurden getötet.

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Ghannouchi gab klein bei: Er wolle keine neuen Opfer provozieren und keine Demonstrationen gewaltsam unterdrücken, sagte er.

Der 69-Jährige war eine umstrittene Figur. Den einen galt er als Technokrat und Garant eines halbwegs stabilen Übergangs zu einer Demokratie. Die Mehrheit sah in ihm jedoch einen Vertreter der alten Garde. Schließlich hatte er sein Amt schon unter dem gestürzten Diktator Zine el Abidine Ben Ali inne. Im Gedächtnis blieb auch, dass Ghannouchi noch bis zum Ende die Reden Ben Alis verlas.

Sein Nachfolger wurde in Windeseile und ohne große Absprachen benannt: Der 84 Jahre alte Béji Caïd Essebsi soll das Land auf die Mitte Juli geplanten Wahlen vorbereiten. «Es war die Revolution der Jugend, und nun stellt sich ein Alter an ihre Spitze», spottete der langjährige Oppositionelle Moncef Marzouki.

Essebsi stand dem Vater der tunesischen Unabhängigkeit, Habib Bourguiba, nahe und hatte in dessen Zeit mehrere Ministerämter inne. Mitte der 90er Jahre hatte er sich aus der Politik verabschiedet und als Anwalt gearbeitet. «Er ist bekannt für seinen Patriotismus und seine Treue», erklärte Interimspräsident Fouad Mebazaa zu seiner Ernennung.

Am Montag kippte gleich noch ein weiterer Vertreter der alten Garde, der bisherige Industrieminister Mohamed Afif Chelbi, der ebenfalls als Technokrat galt. Nun ist nur noch ein einziger der Ben-Ali-Getreuen übrig, Mohamed Nouri Jouini, zuständig für Entwicklungszusammenarbeit. Der neue Premierminister appellierte als erstes an sein Kabinett, nun bis zu den Wahlen zusammenzubleiben.

Die nächsten Monate werden entscheidend sein, ob Tunesien der Übergang zur Demokratie gelingt. Anders als in Ägypten oder Libyen gibt es eine gut ausgebildete Mittelschicht und zahlreiche Intellektuelle, die in diversen Zirkeln über die Zukunft ihres Landes diskutieren.

Unterdessen bekommt das Land ein neues Problem: Zehntausende Flüchtlinge aus Libyen kommen über die Grenze. Der Grenzübergang bei Ras Jedir ist auf libyscher Seite bereits verlassen. Hilfsorganisationen richten dort ein Lager für bis zu 10 000 Menschen ein. Sogar die leerstehenden Hotels auf der Urlaubsinsel Djerba sollen nun als Notunterkünfte für die aus Libyen Geflohenen dienen. (Quelle: Tunis/Paris (dpa/lby))